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Erbrechtsrevision Teil 1

Bedeutung für Ihre Nachlassplanung

Das fast hundertjährige Erbrecht wird geändert. Am 18. Dezember 2020 wurde mit der parlamentarischen Schlussabstimmung der erste Teil der Erbrechtsreform verabschiedet. Die Inkraftsetzung des revidierten Erbrechts kann voraussichtlich auf Anfang 2023 erwartet werden. Im Zentrum des neuen Erbrechts steht die Reduktion der Pflichtteile. Das sind die wichtigsten Änderungen für die Nachlassplanungspraxis:

1. Die Reduktion der Pflichtteile der Nachkommen und die Erhöhung der Verfügungsfreiheit der Erblasserin

1.1 Übersicht über die Änderungen

Unter dem geltenden Recht betragen die Pflichtteile der Nachkommen drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs, mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts nur noch die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs; der Pflichtteil der Eltern wird gänzlich entfallen (Art. 470 Abs. 1 und Art. 471 E-ZGB). Damit kann die Erblasserin in Zukunft freier über ihr Vermögen verfügen und beispielsweiseihren Lebenspartner, gemeinnützige Institutionen oder ein Kind mit speziellen Bedürfnissen stärker begünstigen. Auch die Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen wird erleichtert. Bei der Begünstigung von Dritten (z.B. Lebenspartner, Stiefkinder) sind jedoch nach wie vor die kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuern zu beachten; im Kanton Zürich beispielsweise beträgt die maximale Erbschaftssteuer für Lebenspartner derzeit 36%. Nicht verändern wird sich der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten oder der eingetragenen Partnerin bei gleichgeschlechtlichen Paaren, dieser beträgt nach wie vor die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.

Beispiel 1: Eine verwitwete Erblasserin mit einer beruflich sehr erfolgreichen Tochter möchte eine gemeinnützige Stiftung letztwillig begünstigen. Unter dem geltenden Recht beträgt der Pflichtteil der Tochter drei Viertel am Nachlass, so dass die Erblasserin der Stiftung einen Viertel zuwenden kann. Unter dem neuen Recht beträgt der Pflichtteil der Tochter nur noch die Hälfte, so dass die Stiftung mit der anderen Hälfte begünstigt werden kann.

Beispiel 2: Ehegatten mit zwei erwachsenen Kindern möchten sich im Hinblick auf die Altersvorsorge gegenseitig letztwillig begünstigen. Das eheliche Vermögen besteht bei beiden Ehegatten im Wesentlichen aus Erbschaften von ihren Eltern (sog. Eigengut). Unter dem geltenden Recht beträgt der Pflichtteil beider Kinder zusammen drei Achtel (drei Viertel des hälftigen Erbanspruchs), so dass dem überlebenden Ehegatten insgesamt fünf Achtel aus dem Nachlass zugewiesen werden können. Unter dem neuen Recht beträgt der Pflichtteil beider Kinder zusammen einen Viertel (die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs), so dass dem überlebenden Ehegatten insgesamt drei Viertel aus dem Nachlass zugewiesen werden können.

Ebenfalls eine grössere Verfügungsfreiheit wird Ehegatten mit gemeinsamen Kindern in Zukunft zukommen, wenn sie sich für eine Nutzniessungslösung entscheiden, bei der den Kindern zwar bereits das Eigentum zugewiesen wird, dieses jedoch mit der Nutzniessung zugunsten des überlebenden Ehegatten belastet wird. Bei der erbrechtlichen Begünstigung des überlebenden Ehegatten mit einer Nutzniessung wird die verfügbare Quote nämlich sogar um das Doppelte erhöht. Neu beträgt diese neben der Nutzniessung die Hälfte statt wie bis anhin einen Viertel (Art. 473 E-ZGB). Der Erblasser kann der überlebenden Ehefrau damit letztwillig die Hälfte am Nachlass als Erbin zu Volleigentum und an der anderen Hälfte die Nutzniessung zuweisen. Das ermöglicht je nach der konkreten Lebens- und Vermögenssituation eine sehr weitgehende Begünstigung der überlebenden Ehegattin gegenüber den gemeinsamen Nachkommen, die sich zu Lebzeiten ihrer Mutter mit dem nutzniessungsbelasteten Eigentum begnügen müssen.

1.2 Bedeutung für heute errichtete und für bereits bestehende Testamente und Erbverträge: Klarheit schaffen und Rechtsunsicherheiten vermeiden

Das neue Recht wird voraussichtlich auf den 1. Januar 2023 in Kraft treten, und es wird auch für bereits errichtete Testamente und Erbverträge gelten, wenn die Erblasserin nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts verstirbt (sog. Todestagsprinzip, Art. 16 Abs. 3 SchlT ZGB). Wer über seinen Nachlass bereits letztwillig verfügt hat, hat dies jedoch auf der Basis des geltenden Erbrechts getan. Es werden sich nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts im Rahmen der Nachlassabwicklung somit Fragen zum erblasserischen Willen stellen.
Beispiel: Die Erblasserin setzte in ihrem Testament aus dem Jahr 2010 ihre Tochter auf den Pflichtteil und wendete der X Stiftung die verfügbare Quote zu. Die Erblasserin verstirbt im Jahre 2024, also nach Inkrafttreten des neuen Rechts. Im Zeitpunkt der Niederschrift des Testaments betrug der Pflichtteil der Tochter drei Viertel, beim Ableben der Erblasserin im Jahre 2024 beträgt der Pflichtteil aber nur noch die Hälfte. Was war der Wille der Erblasserin? Wollte sie der Tochter möglichst wenig und der Stiftung möglichst viel zuwenden oder war für sie die Begünstigung der Stiftung im Rahmen der damaligen freien Quote von einem Viertel gerade richtig?

Im Hinblick auf das Inkrafttreten des neuen Rechts gilt es also unbedingt, Klarheit zu schaffen und Rechtsunsicherheiten in Bezug auf die Auslegung bestehender Testamente und Erbverträge zu vermeiden. Denn Rechtsunsicherheiten führen zu Konflikten, die gerade im Erbrecht oft langwierig und finanziell und emotional belastend sein können. Bestehende Nachlassplanungen sind deshalb zu überprüfen und, wenn nötig und möglich, anzupassen.

Auch für heute bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts beratene und neu zu errichtende Testamente und Erbverträge gilt, dass die Möglichkeit des Versterbens unter dem alten oder unter dem neuen Recht zu berücksichtigen und damit jegliche Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden sind. Soll die Tochter also möglichst wenig und die Stiftung möglichst viel erhalten, ist beim Verweis auf den Pflichtteil eine dynamische Formulierung zu wählen für den Fall, dass die Erblasserin nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts verstirbt. Erachtet die Erblasserin hingegen die derzeitige (Pflichtteils-)Quote der Tochter von drei Vierteln und die Begünstigung der Stiftung mit einem Viertel als gerade richtig, muss dieser Wille im Hinblick auf das neue Recht ebenfalls klar aus dem Testament hervorgehen.

2. Die erbrechtliche Behandlung der Begünstigung des Ehegatten aus Ehevertrag

Beim Tod einer verheirateten Person geht die ehegüterrechtliche Auseinandersetzung des ehelichen Vermögens der erbrechtlichen Teilung voran. In den Nachlass fällt also nur dasjenige Vermögen, welches nicht bereits aufgrund des Ehegüterrechts dem länger lebenden Ehegatten zukommt. Mit einem Ehevertrag können Ehegatten unter dem Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung vereinbaren, dass nicht nur die gesetzlich vorgesehene Hälfte, sondern die ganze eheliche Errungenschaft dem länger lebenden Ehepartner zugewiesen wird (Art. 216 ZGB). Der Nachlass besteht damit nach der ehegüterrechtlichen Auseinandersetzung nur noch aus dem erblasserischen Eigengut (in die Ehe eingebrachtes Vermögen oder während der Ehe geerbtes Vermögen). Auf die Teilung des Eigenguts des Ehemannes (Nachlass) kommen sodann die erbrechtlichen Regelungen zur Anwendung.

Beispiel: Ehevertragliche Begünstigung der Ehefrau bei Vorversterben des Ehemannes unter dem Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung:

In der Anwaltspraxis ist die optimale Begünstigung des überlebenden Ehegatten einer der Hauptgründe für den Abschluss von Ehe- und Erbverträgen. Umso bedeutender für die Nachlassplanung ist deshalb die Revision der erbrechtlichen Behandlung der ehevertraglichen Errungenschaftszuweisung. In der akademischen Lehre ist das Verhältnis zwischen Ehegüterrecht und Erbrecht derzeit umstritten. Unklar ist, ob die ehevertragliche Begünstigung des überlebenden Ehegatten aus der Errungenschaft bei der Berechnung der erbrechtlichen Pflichtteile der gemeinsamen Nachkommen zu berücksichtigen ist oder nicht. Die Revision schafft hier erfreulicherweise Klarheit: Gemäss dem neuen Recht (Art. 216 Abs. 2 E-ZGB) wird die übergesetzliche bzw. überhälftige Errungenschaftszuweisung bei der Berechnung der erbrechtlichen Pflichtteile der Nachkommen nicht berücksichtigt, mit Ausnahme für die Berechnung der Pflichtteile der nichtgemeinsamen Nachkommen. Die Pflichtteile der gemeinsamen Kinder berechnen sich somit nur vom Eigengut des verstorbenen Elternteils.

Bei der erbrechtlichen Auslegung der ehevertraglichen Errungenschaftszuweisung wird damit Rechtsklarheit geschaffen, und zwar in einer Weise, wie es für die Bürgerinnen und Bürger auch nachvollziehbar ist. Zudem wird die Position des überlebenden Ehegatten gestärkt, was aus Sicht der Praxis und im Hinblick auf die immer wichtiger werdende Altersvorsorge und die existentielle Absicherung für junge Eltern mit minderjährigen Kindern zu begrüssen ist.

3. Verlust des Pflichtteilsanspruchs im hängigen Scheidungsverfahren

Sobald ein Scheidungsverfahren hängig ist, das auf gemeinsames Begehren oder nach zweijährigem Getrenntleben auf Klage hin eingeleitet worden ist, soll in Zukunft der Pflichtteilsschutz der Scheidungsgatten von Gesetzes wegen entfallen (Art. 472 E-ZGB). Jeder Scheidungsgatte kann damit dem anderen mit einem Testament den Pflichtteil entziehen, so dass dieser keine erbrechtlichen Ansprüche mehr geltend machen kann. Das Gesetz schafft somit im rechtshängigen Scheidungsverfahren einen neuen Enterbungsgrund.

Der überlebende Scheidungsgatte verliert aber nicht nur seinen Pflichtteilsanspruch. Er kann auch keine Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen erheben, wenn ein Scheidungsverfahren hängig ist (Art. 120 E-ZGB). Bei Erbverträgen entfällt, vorbehältlich einer anderen Anordnung, somit automatisch auch die vertragliche Bindungswirkung.

Ziel des Gesetzgebers ist es, Anreize zur taktischen Verzögerung des Scheidungsverfahrens, um noch in den Genuss erbrechtlicher Ansprüche zu kommen, zu unterbinden. Das Missbrauchspotential im Scheidungsverfahren wird nun neu aber zu Lasten des finanzschwächeren Ehegatten gehen, wenn dieser nicht nur seine erbrechtlichen Ansprüche verliert, sondern auch aus dem Ehegüterrecht wenig erhält, weil z.B. wenig Errungenschaft vorhanden oder die Gütertrennung vereinbart worden ist. Lebensprägende Faktoren bleiben gänzlich unbeachtet.

4. Kurskorrektur bei Erbverträgen: Von Schenkungsfreiheit zu Schenkungsverbot

Eine Erblasserin kann sich durch einen Erbvertrag verpflichten, jemanden als Erben oder Vermächtnisnehmer einzusetzen (Art. 494 Abs. 1 ZGB). Nach der heutigen Rechtsprechung gilt, dass die Erblasserin auch nach Abschluss des Erbvertrags grundsätzlich zu Lebzeiten frei bleibt, über ihr Vermögen mittels Schenkungen zu verfügen. Diese grundsätzliche lebzeitige Verfügungsfreiheit gilt nicht, wenn der Erbvertrag einen entsprechenden Vorbehalt enthält oder wenn der Erbvertragsgläubiger im Prozess den (schwierigen) Beweis erbringen kann, dass die Erblasserin ihn durch die lebzeitige Zuwendung offensichtlich schädigen wollte (BGE 140 III 193).

Die strenge Rechtsprechung des Bundesgerichts stiess in der Lehre auf Kritik, und das revidierte Gesetz wird die Rechtsprechung korrigieren: Neu kann der durch Erbvertrag eingesetzte Erbe lebzeitige Zuwendungen der Erblasserin, die über Gelegenheitsgeschenke hinausgehen, grundsätzlich anfechten, wenn seine erbvertraglichen Ansprüche geschmälert und die Zuwendungen im Erbvertrag nicht vorbehalten wurden (Art. 494 Abs. 3 E-ZGB).

Der Kurswechsel ist für künftige Nachlassplanungen unproblematisch. Möchte die Erblasserin über ihr Vermögen zu Lebzeiten trotz Erbvertrag verfügen können, sind entsprechende Vorbehalte im Erbvertrag vorzusehen. Da das neue Recht aber auch auf bestehende Erbverträge anwendbar sein wird, werden sich bei der Auslegung bestehender Erbverträge Rechtsunsicherheiten ergeben, wenn die erbvertraglichen Bestimmungen keine klaren Vorbehalte enthalten.

5. Klarstellung bei der Herabsetzungsreihenfolge und bei der gebundenen Selbstvorsorge 3a

Nach geltendem Recht kann eine Person, die nicht dem Werte nach ihren Pflichtteil erhält, die Herabsetzung der Verfügungen von Todes wegen und bestimmter Zuwendungen unter Lebenden verlangen, und zwar in der Reihenfolge, dass die späteren vor den früheren herabgesetzt werden (Art. 532 ZGB). Aufgrund der bestehenden Gesetzesformulierung ist unklar, ob auch das gesetzliche Erbrecht (Intestaterbrecht) herabgesetzt werden kann und ob die übergesetzliche Begünstigung des überlebenden Ehegatten aus Ehevertrag (Art. 216 ZGB) eine Verfügung von Todes wegen oder eine Zuwendung unter Lebenden ist. Das Gesetz klärt diese Rechtsunsicherheiten: Das Intestaterbrecht unterliegt der Herabsetzung und zwar als Erstes, und die Zuwendung aus Ehevertrag ist eine Zuwendung unter Lebenden, die vor den übrigen lebzeitigen Zuwendungen herabgesetzt wird (Art. 532 E-ZGB).

Eine weitere Rechtsunsicherheit wird bei der Behandlung der Todesfallleistungen aus der gebundenen Selbstvorsorge 3a geklärt: Neu sollen alle Begünstigten unabhängig von der Vorsorgeform (Banksparen oder Versicherung) einen eigenen und direkten Anspruch gegenüber der Bank oder der Versicherung haben (Art. 82 E-BVG). Die Leistungen aus der Säule 3a gehören damit nicht zur Erbmasse, werden aber für die Berechnung der Pflichtteile berücksichtigt, bei Versicherungslösungen mit dem Rückkaufswert und beim Banksparen mit dem entsprechenden Kapital (Art. 476 und Art. 529 E-ZGB).

6. Fazit zum ersten Teil der Erbrechtsrevision

Die Reduktion der Pflichtteile gibt der Erblasserin mehr Planungsfreiheit, um ihren jeweiligen Bedürfnissen, sei es die Begünstigung des Lebenspartners, die Sicherstellung der Unternehmensnachfolge oder die Verwirklichung gemeinnütziger Anliegen, in der Nachlassplanung besser Rechnung tragen zu können. Zu beachten sind jedoch nach wie vor die kantonalen Schenkungs- und Erbschaftssteuern, wenn von der Verfügungsfreiheit Gebrauch gemacht wird. Die übrigen Revisionspunkte bringen einige Veränderungen zum geltenden Recht oder zur Rechtsprechung und sind in zukünftigen Planungen entsprechend zu berücksichtigen.

Das neue Recht wird, vorbehältlich eines Referendums, voraussichtlich am 1. Januar 2023 in Kraft treten, und auch auf vorbestehende Testamente und Erbverträge Anwendung finden, wenn die Erblasserin nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts verstirbt. Bestehende Nachlassplanungen sind deshalb im Hinblick auf das neue Recht zu überprüfen. Es gilt, Klarheit zu schaffen und Rechtsunsicherheiten in Bezug auf die Auslegung des Willens der Erblasserin zu vermeiden; denn Rechtsunsicherheiten führen oft zu langwierigen Konflikten.

In der Pipeline der Gesetzgebung befinden sich noch weitere Erbrechtsteilrevisionen, so insbesondere das neue Unternehmenserbrecht und der sog. "technische Teil" der Erbrechtsrevision. Auch diese Revisionsbestrebungen sind aufmerksam zu verfolgen und sodann frühzeitig bei der Nachlassberatung angemessen zu berücksichtigen.

Louise Lutz Sciamanna, lic. iur., LL. M.

Louise Lutz Sciamanna, lic.iur., LL.M., Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Erbrecht, Konsulentin bei CMS von Erlach Poncet AG, Zürich.

Louise Lutz Sciamanna, lic.iur., LL.M.,

Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Erbrecht.
Konsulentin bei CMS von Erlach Poncet AG, Zürich.

E-Mail: louise.lutz@cms-vep.com
Website: cms.law

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